Nach Beiträgen zur Qualitätssicherung und Vergütung von Telemonitoring in Deutschland, wenden wir heute den Blick nach Österreich: Wie erfolgt die telemedizinische Versorgung bei Herzinsuffizienz in Österreich?
Herzinsuffizienz in Österreich
Laut der österreichischen Gesundheitskasse leiden bis zu 300.000 Österreicherinnen und Österreicher an einer Herzinsuffizienz, ein Teil davon auch unentdeckt. Das entspricht ca. 3% der erwachsenen Bevölkerung. Die Herzinsuffizienz wird sehr häufig im Krankenhaus diagnostiziert. Basierend auf Daten der Statistik Austria wird davon ausgegangen, dass jede/r zehnte stationäre Patientin/Patient eine Herzinsuffizienz hat. Pro Jahr gibt es ca. 24.000 Hospitalisierungen aufgrund dieser Diagnose. Das verschlechtert nicht nur die Prognose für die Betroffenen, sondern ist auch mit erheblichen Kosten für das Gesundheitssystem verbunden. Circa vier Fünftel der herzinsuffizienz-assoziierten Gesundheitskosten entstehen im Zusammenhang mit einer Hospitalisierung.
Allerdings ist die Behandlung im Krankenhaus auf die Akutversorgung ausgerichtet und damit zu kurz, um die Patientinnen und Patienten aus therapeutischer Sicht optimal einzustellen. Auch in der ambulanten Nachsorge erfährt nicht jeder Patient und jede Patientin die optimale Therapie. Weniger als 10% der Herzinsuffizienz-PatientInnen sind medikamentös bestmöglich eingestellt. Um dieses Defizit zu beheben und um die Menschen besser zu versorgen, wurde neben anderen Heart Failure Disease Management Programmen das Programm HerzMobil konzipiert.
Das Programm HerzMobil
HerzMobil ist ein umfassendes telemedizinisches Herzinsuffizienz-Versorgungsprogramm, das darauf abzielt, eine nachhaltige Stabilisierung der Erkrankung zu erreichen, die medikamentöse Therapie zu optimieren sowie die Eigenkompetenz und die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu steigern.
Das Programm besteht aus vier Säulen:
- Patientenaufklärung und Kompetenzvermittlung zur Stärkung der Eigenverantwortung
- Telemonitoring und (tele-)pflegerische Betreuung zur Früherkennung einer sich ankündigenden Dekompensation
- kontinuierliche Optimierung der leitliniengerechten HF-Therapie zur Langzeitstabilisierung
- Etablierung einer Struktur zur dauerhaften Unterstützung des Herzinsuffizienzmanagements im Versorgungsnetzwerk
Bei Erfüllung der Einschlusskriterien und nach Unterzeichnung der Zustimmungserklärung werden die PatientInnen bereits in der Klinik, in der sie aufgrund einer akuten Dekompensation aufgenommen wurden, in das Programm eingeschrieben. Sie erhalten noch während des stationären Aufenthalts das Geräteset von HerzMobil.
Unter bestimmten Voraussetzungen können PatientInnen auch aus dem niedergelassenen Bereich in das Programm aufgenommen werden.
Anders als in Deutschland bekommen die PatientInnen anschließend zu Hause einen Hausbesuch von der sie betreuenden HerzMobil-Pflegekraft. Die Pflegekraft weist den Patienten/die Patientin in die Benutzung der Geräte ein, verschafft sich einen Überblick über die Gesamtsituation (z.B. hat er die notwendigen Medikamente zu Hause, ist er in der Lage den Haushalt zu führen oder wird mehr Unterstützung benötigt). Zudem ist innerhalb der ersten Woche nach der Entlassung aus dem stationären Aufenthalt die Erstuntersuchung bei einem Netzwerkarzt geplant. Der Netzwerkarzt legt die patientenindividuellen Grenzwerte für das Telemonitoring fest. Nach wenigen Wochen erfolgt in der Praxis auch eine weitere Kontrolle der Laborwerte und schließlich nach drei Monaten der Programmabschluss. Für das Telemonitoring erhalten die PatientInnen jeweils eine Körperwaage, ein Blutdruckmessgerät, einen Schrittzähler und ein HerzMobil-Handy. Neben der technischen Ausstattung besteht für die PatientInnen die Möglichkeit, als erste Instanz die zuständige Pflegefachkraft zu kontaktieren. Sofern diese das Problem nicht lösen bzw. beheben kann, kann sich die Pflegefachkraft beim zuständigen Netzwerk-Arzt als zweite Instanz melden.
Telemonitoring
Die PatientInnen erfassen und übermitteln täglich Blutdruck-, Puls- und Gewichtswerte. Sie nutzen für die Übermittlung der Werte das HerzMobil-Handy. Hierzu erhalten sie zusätzlich eine persönliche HerzMobil-ID-Karte. Wird diese in die Nähe des Mobiltelefons gehalten, öffnet sich die HerzMobil-App. In dieser können die PatientInnen ihre Werte sehen, ihr Befinden sowie die Einnahme von Medikamenten dokumentieren.
Die übermittelten Daten werden in einer Patientenakte aufbereitet, so dass das betreuende Pflege- und Ärzte-Team sich jederzeit ein Bild vom aktuellen Gesundheitszustand der PatientInnen machen kann. Bei Grenzwertüberschreitungen wird das Betreuungsteam informiert. Innerhalb ein bis zwei Werktagen reagiert das telepflegerische Team oder die behandelnden Ärzte auf die Überschreitung und leiten ggf. Therapieanpassungen ein.
Während in Deutschland die primär behandelnden Ärztinnen und Ärzte (PBA) für ihre PatientInnen auch ein Telemonitoring am Wochenende verschreiben können, folgt HerzMobil einem anderen Ansatz. Das Programm ist explizit kein Notfallprogramm – wobei auch die Programme in Deutschland das in der Regel nicht sind. HerzMobil setzt auf Kompetenzsteigerung bei den Patientinnen und Patienten. Die grundsätzliche Annahme ist, dass die Patienten bei der Entlassung in die Häuslichkeit gesundheitlich stabilisiert sind. Für eine Behandlung und Versorgung bei akuten Verschlechterungen an Wochenenden und Feiertagen sind die Rettungsdienste und Notfallambulanzen zuständig. Durch intensive Schulung bei der initialen Programmeinschreibung in der Klinik und insbesondere auch zu Hause – in dem vertrauten, ruhigen Umfeld – werden die Patientinnen und Patienten befähigt, im Alltag und so auch am Wochenende sicherer mit ihrer Erkrankung und den Warnsignalen des eigenen Körpers umzugehen.
Das Programm hat eine Laufzeit von 3 Monaten nach einem Akutereignis. Bei Bedarf kann das Programm um weitere 3 Monate verlängert werden.
Umsetzung der intersektoralen Zusammenarbeit
Der behandelnde Hausarzt/die Hausärztin wird vom HerzMobil-Team darüber informiert, dass der Patient/die Patientin in das Programm aufgenommen wurde. Dabei wird der Patient ausschließlich bezüglich der Herzinsuffizienz vom HerzMobil-Team (Pflegeteam und Netzwerkarzt) behandelt. Für alle weiteren Erkrankungen und gesundheitlichen Einschränkungen bleibt der Hausarzt/die Hausärztin Ansprechperson.
Automatisch generierte und übersichtlich strukturierte Berichte ermöglichen den schnellen und einfachen Informationsaustausch zwischen den Beteiligten. Besonders hervorheben möchte ich auch die Netzwerktreffen. Diese erlauben in regelmäßigen Abständen den persönlichen Austausch der Netzwerkärzte und -ärztinnen, der Pflegekräfte sowie der Anbieter der eingesetzten Technik. So können Best-Practice-Lösungen etabliert und Herausforderungen frühzeitig adressiert werden.
Ergebnisse
Im Rahmen einer Studie wurde untersucht, wie sich die Versorgung im Programm HerzMobil auswirkt. Hierfür wurden die Daten von 508 PatientInnen (2016 bis 2019) analysiert, die entweder im HerzMobil-Programm (n= 251) teilnahmen oder in der Vergleichsgruppe (n=257) die übliche Nachsorge erhielten.
Der primäre Endpunkt der nicht-randomisierten, retrospektiven Studie war, die Zeit bis zur herzinsuffizienz-assoziierten-Wiederaufnahme und die Gesamtmortalität innerhalb von 6 Monaten.
Die telemedizinische Versorgung zeigte Wirkung. Die im HerzMobil betreuten PatientInnen wiesen eine Reduktion des Risikos für eine Wiederaufnahme oder Tod innerhalb von 6 Monaten um 46 Prozent auf. Auch das Risiko innerhalb von 12 Monaten nach Aufnahme zu versterben, wurde für die PatientInnen im HerzMobil-Programm von 27,5% (usual care) auf 10% (HerzMobil) gesenkt.
Unterscheidung zur Herzinsuffizienz-Regelversorgung in Deutschland
Untenstehende Tabelle stellt ausgewählte Charakteristika der telemedizinischen Herzinsuffizienzversorgung im Programm HerzMobil der Regelversorgung Telemonitoring bei Herzinsuffizienz in Deutschland gegenüber.
Vom Pilotprojekt zur Regelversorgung
Vor zehn Jahren startete HerzMobil Tirol als erstes Bundesland mit der dezentralen telemedizinischen Nachsorge von Menschen mit Herzschwäche. Seit 2017 gehört das Programm zur Regelversorgung. Bisher profitierten mehr als 800 Patientinnen und Patienten von der telemedizinischen Versorgung im Programm HerzMobil Tirol.
Seit drei Jahren (ab 2019) wird das Programm in der Steiermark (HerzMobil Steiermark, aktuell > 700 PatientInnen) angeboten und seit diesem Jahr (2022) in Kärnten (HerzMobil Kärnten) mit rund 35 PatientInnen. Das Angebot erfolgt jeweils mit den regionalen Krankenanstaltenbetreibern der Bundesländer und in Abstimmung mit allen Sozialversicherungsträgern in Österreich.
Das Programm HerzMobil wird mit folgenden Partnern umgesetzt:
- AIT Austrian Institute of Technology GmbH ist Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung und Spezialist für die zentralen Infrastrukturthemen der Zukunft.
- telbiomed Medizintechnik und IT Service GmbH, eine Spin-Off der AIT mit Fokus auf wirtschaftlichen Wertschöpfung durch nationalen und internationalen Vertrieb der Telehealth Lösungen
- Tirol: Landesinstitut für Integrierte Versorgung Tirol (LIV), Tirol Klinken GmbH
- Steiermark: Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft m.b.H.(KAGes)
- Kärnten: Kärntner Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft (KABEG)
- Landeszielsteuerungskommissionen der beteiligten Bundesländer und Sozialversicherungsträger
FAZIT
Die erzielten klinischen Ergebnisse sind, insbesondere unter Berücksichtigung der verhältnismäßig kurzen Programmlaufzeit, überzeugend und rechtfertigen einmal mehr den Einsatz von Telemedizin für die Diagnose Herzinsuffizienz. Die Vor-Ort-Netzwerktreffen sind ein sehr geeignetes Instrument, um den intersektoralen und interdisziplinären Austausch zu erleichtern. Beides, die hybride Betreuung und die persönlichen Netzwerktreffen, setzen jedoch auch regional verankerte Strukturen voraus. Es lohnt sich, über die Grenzen des deutschen Gesundheitswesens hinweg zu schauen, um sich zu informieren, sich inspirieren zu lassen und zu lernen.
Quellen und weiterführende Links
- Ammenwerth E, et al. HerzMobil, an Integrated and Collaborative Telemonitoring-Based Disease Management Program for Patients With Heart Failure: A Feasibility Study Paving the Way to Routine Care. JMIR Cardio. 2018 Apr 30;2(1):e11. doi: 10.2196/cardio.9936. PMID: 31758765; PMCID: PMC6857958. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6857958/
- Poelzl G, et al. Feasibility and effectiveness of a multidimensional post-discharge disease management programme for heart failure patients in clinical practice: the HerzMobil Tirol programme. Clin Res Cardiol. 2022 Mar;111(3):294-307. doi: 10.1007/s00392-021-01912-0. Epub 2021 Jul 16. PMID: 34269863. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34269863/
- Poelzl, G. et al. Heart failure disease management programs in Austria 2019. Wien Klin Wochenschr 132, 310–321 (2020). https://doi.org/10.1007/s00508-020-01615-y https://aerztezeitung.at/2020/oaz-artikel/medizin/herzinsuffizienz-hospitalisierungen-vermeiden/ https://aerztezeitung.at/2020/oaz-artikel/medizin/herzinsuffizienz-hospitalisierungen-vermeiden/
- HerzMobil Tirol
- HerzMobil Steiermark
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