Telemedizin und Klimawandel
Der Weltklimarat hatte Mitte März die wesentlichen Erkenntnisse zum Klimawandel veröffentlicht. Vor diesem Hintergrund beleuchten wir das Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen und schauen auf die Potenziale der Telemedizin für ein klimaneutrales Gesundheitswesen.
Wenn wir an Klimawandel und Gesundheitswesen denken, geht es einerseits darum, die aktuelle Gesundheitsversorgung an klimabedingte Herausforderungen anzupassen und andererseits den CO2-Fußabdruck des Gesundheitswesens zu minimieren. Beide Ansätze lassen sich telemedizinisch unterstützen.
Das Gesundheitswesen und der Klimawandel
Das deutsche Gesundheitswesen trägt zum Klimawandel bei. Im Deutschland kommen etwa 5,2 % aller emittierten Treibhausgase aus dem Gesundheitswesen (EU 4,7%). Weltweit ist der Gesundheitssektor für 4,4 % der Emissionen verantwortlich und verursacht so mehr Treibhausgase als der Flugverkehr (3 %) oder die Schifffahrt (2 %). Die Zahlen sind seit einiger Zeit bekannt. Die Bundesärztekammer will daher bis 2030 das deutsche Gesundheitswesen klimaneutral werden lassen (Beschluss II-03, 2021). Die Bundesregierung beabsichtigt bis spätestens 2050 das Gesundheitswesen klimaneutral und ökologisch nachhaltiger organisieren.
CO2-Fußabdruck reduzieren
Die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels werden sich zukünftig immer stärker bemerkbar machen. In einer aktuellen Studie wurde der Ist-Zustand, Bereitschaft, Hürden und Wünsche bezüglich des Klimaschutzes in Arztpraxen erfasst. Dabei gaben 83% der teilnehmenden 1.683 Ärztinnen und Ärzte den Klimawandel als dringendes Problem an, das sofortiges Handeln erfordere.
Der Klimaschutz in Praxen setzt aktuell auf Ressourcenschonung, Aufklärung und Anpassung.
Unter anderem werden nachfolgende Maßnahmen vorgeschlagen:
- Energie, Wärme und Wasser sparen zum Beispiel durch den Einsatz von energiesparenden Lampen und Geräten, Verhaltensänderungen und Perlatoren in Wasserhähnen.
- Abfall vermeiden und reduzieren zum Beispiel indem auf recyclebare Produkte ausgewichen wird
- Arzneimittel auch umweltbewusst wählen, der Virchowbund empfiehlt beispielsweise den Umstieg auf CO2-arme Pulverinhalatoren bei Asthmapatient:innen und im OP-Bereich die Wahl von CO2-ärmeren Anästhetika.
- Telemedizin einsetzen, z. B. mit einem Videosprechstundenangebot, das es Patient:innen im ländlichen Raum ermöglicht, auf Autofahrten zur Arztpraxis zu verzichten. Im Einzelfall können auch Hausbesuche und die damit anfallenden Autokilometer entfallen.
Gesundheitsversorgung an Klimawandel anpassen
- Einrichtung einer Klimasprechstunde, in der zu gesundheitlichen Problemen im Zusammenhang mit dem Klimawandel aufgeklärt wird und die Patient:innen beraten werden. Der präventive Ansatz berücksichtigt Empfehlungen zur planetaren und individuellen Gesundheit (Lebensstil, Ernährung entsprechend EAT-Lancet Commission).
- Fortbildungen organisieren oder besuchen, zum Beispiel zu ressourcenschonender Versorgung und klimawandelbedingten Gesundheitsrisiken, wie Hitzewellen.
- Telemedizin einsetzen – zum Beispiel können im Rahmen eines Telemonitorings eine Verlaufskontrolle relevanter Werte erfolgen ohne dass der Patient oder die Patientin die Praxis aufsuchen muss. Patient:innen können dann auch telemedizinisch zur Einnahme von Bedarfsmedikation, zum Beispiel bei besonders großer Hitze und die zu berücksichtigende Flüssigkeitsaufnahme beraten werden
Potenzial der Telemedizin
In einem systematischen Review aus 2021 wurde das größte Emissionseinsparpotenzial der Telemedizin in der Verringerung der Reisetätigkeit identifiziert. Aber spart Telemedizin wirklich Emissionen ein, wenn alle Komponenten inklusive ihrer Herstellung mit in die Kalkulation einbezogen werden? Eine Studie aus dem Jahr 2014 hat sich dieser Frage gewidmet. Im Rahmen der Untersuchung wurden Life-Cycle-Assessments durchführt. Es wurden also die Emissionen von der Herstellung der Webcam des Arztes oder der Ärztin bis zum Stromverbrauch des Routers der Patient:innen alles anteilig berechnet und in der Kalkulation berücksichtigt. Im Ergebnis sorgten die Videosprechstunden im Vergleich für einen 40- bis 70-mal niedrigeren CO2-Ausstoß gegenüber einem persönlichen Termin vor Ort.
Auch die dezentrale Datenhaltung, z. B. durch Nutzung von Cloud-Lösungen können bis zu 80 % Strom im Vergleich zur selbstständig betriebenen lokalen Infrastruktur eingespart werden (DUP Magazin).
Fazit
Telemedizinische Anwendungen können einen Teil zur Emissionsreduktion im Gesundheitswesen beitragen. Allein mit Telemedizin lässt sich die angestrebte Klimaneutralität des Gesundheitswesens nicht erreichen, dafür müssen strukturelle Rahmenbedingungen geschaffen werden und letztlich auch jeder Akteur seinen und jede Akteurin ihren Beitrag leisten.
Mehr dazu lesen?
Purohit A, Smith J, Hibble A. Does telemedicine reduce the carbon footprint of healthcare? A systematic review. Future Healthc J. 2021 Mar;8(1):e85-e91. doi: 10.7861/fhj.2020-0080. PMID: 33791483; PMCID: PMC8004323.
Holmner A, Ebi KL, Lazuardi L, Nilsson M. Carbon footprint of telemedicine solutions–unexplored opportunity for reducing carbon emissions in the health sector. PLoS One. 2014 Sep 4;9(9):e105040. doi: 10.1371/journal.pone.0105040.
https://www.virchowbund.de/praxisaerzte-blog/was-praxisaerzte-gegen-den-klimawandel-und-seine-folgen-tun-koennen (abgerufen am 21.03.2023)
https://www.bundesaerztekammer.de/themen/aerzte/klimawandel-und-gesundheit/co2-fussabdruck-gesundheitssektor (abgerufen am 21.03.2023)
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/G/G7/20220520_German_G7_Health_Ministers_Communique.pdf.pdf (abgerufen am 21.03.2023)